Offener Brief an die ArbeiterInnen der Kohleindustrie und die IG BCE
Warum wir den Kohleausstieg jetzt wollen. Und warum sich unsere Aktionen trotzdem nicht gegen Sie oder die Lausitz richten.
Liebe ArbeiterInnen der Kohleindustrie, liebe IG BCE,
Sie haben es mitbekommen: Dieses Wochenende vom 29.11 bis 01.12.2019 plant Ende Gelände gemeinsam mit Fridays for Future ein Aktionswochenende im Lausitzer Kohlerevier.
Wir als Bündnis Ende Gelände sind eine Gemeinschaft von Menschen, die sich seit 2015 für Klimagerechtigkeit und den sofortigen Kohleausstieg einsetzen. Wir organisieren uns basisdemokratisch und stecken alle viel unbezahlte Arbeit in das Bündnis weil wir es für richtig und absolut notwendig halten. Wir tun das, weil wir fest davon überzeugt sind, damit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Gerade in den letzten Jahren merken wir, dass die Klimakrise auch in Deutschland und besonders Brandenburg bereits Realität geworden ist: Dürren haben mehrfach zu großen Waldbränden und zu Ernteausfällen geführt. In vielen Ländern sind Extremwetterereignisse und die Folgen der Erhitzung für Menschen schon heute lebensbedrohlich. Die von WissenschaftlerInnen prognostizierten Szenarien zeigen, dass Millionen Menschen bereits in den nächsten dreißig Jahren ihre Lebensgrundlagen verlieren, wenn wir nicht unter der 1,5 Grad-Grenze bleiben. Deshalb sprechen wir von Klimakrise und nicht Klimawandel. Und deshalb sind 19 weitere Jahre Kohle-Verstromung für uns keine Option. Noch bis 2038 weiter Kohle zu verbrennen ist nicht nur ein Verstoß gegen das Paris-Abkommen sondern geht auf Kosten unserer Zukunft und zu Lasten der Menschen, die jetzt schon von der Klimakrise betroffen sind.
Wir von Ende Gelände gehen mit unserem Protest an einen der wichtigsten Orte an denen die Klimakrise in Deutschland angefeuert wird: In die Kohlereviere, denn ein Drittel der deutschen CO2 Emissionen stammt aus der Kohleverstromung. Sie ist also einer der größten Hebel die wir haben. Gerne wird mit dem Anteil der deutschen CO2 Emissionen weltweit dagegenhalten: ca. 2,2 Prozent. So wenig das scheinen mag, liegt Deutschland damit weltweit auf Platz 6 hinter riesigen Staaten wie China, USA, Indien und Russland und nur knapp hinter Japan. Pro Kopf gerechnet liegt Deutschland sogar noch vor China und sehr weit vor Indien.
Wie die IG BCE sehr richtig betont, dürfen wir die anderen Sektoren wie zum Beispiel Verkehr und Landwirtschaft nicht vernachlässigen. Deswegen ist die Klimagerechtigkeitsbewegung mit „Free the Soil“, „Sand im Getriebe“ und „Am Boden bleiben“ auch dort aktiv. Ebenso ist richtig, dass Deutschlands Wirtschaft stark von Kohle und von Ihrer Arbeit profitiert hat. Umso gerechter finden wir es gegenüber anderen Ländern, dass wir in Deutschland nun aussteigen.
Am allermeisten haben allerdings Konzerne von der Nutzung fossiler Energieträger profitiert – und tun es immer noch. 90 Unternehmen haben fast zwei Drittel der gesamten menschlichen Treibhausgasemissionen verursacht. Unser Protest richtet sich deshalb gegen Konzerne wie die LEAG, die als Aktiengesellschaft allein Interesse an Profiten für die Shareholder hat, und gegen die politisch Verantwortlichen, die den notwendigen Kohleausstieg seit Jahrzehnten verschleppen ohne an Alternativen zu arbeiten.
Auf keinen Fall richtet sich unser Protest gegen Sie, also gegen die Menschen, die in der Kohleindustrie arbeiten. Das wollen wir mit diesem Brief ganz deutlich sagen.
Wir finden es eine schreiende Ungerechtigkeit, dass die EPH und die PPF als Besitzer der LEAG darauf setzen, dadurch Profite zu machen, dass die Energiewende nicht passieren wird oder staatliche Entschädigungen den Ausstieg begleiten. Sie wetten damit darauf, dass entweder die Zukunft des Großteils der Menschheit den Bach heruntergeht oder der Staat ihre Gewinne sichert. Oder beides. Sie sind eben ganz „normale“ kapitalistische Unternehmen. Deswegen finden wir es problematisch, dass eine Gewerkschaft sich auf die Seite des Konzerns stellt, anstatt sich unabhängig von ihm für die Region einzusetzen. Wir finden, das Ziel sollte sein, so etwas grundlegend Wichtiges wie die Energieerzeugung in eine demokratisch kontrollierte öffentliche Hand zu übernehmen und soweit es geht zu dezentralisieren.
Auch wir wissen, dass ein Kohleausstieg für die Wirtschaft in der Region ein Riesenproblem darstellt, mehr als irgendwo anders in Deutschland. Und dass er Ihre Arbeitsplätze ganz direkt in Frage stellt. Wir erkennen an, dass das für Sie eine schwierige Situation ist. Immerhin haben Sie eine starke Gewerkschaft und eine Landesregierung an Ihrer Seite. Die 25.000 Angestellten von Schlecker, die 26.000 ArbeiterInnen der Windindustrie und die 100.000 Beschäftigten der Solarindustrie hatten dies nicht, als sie ihre Arbeitsplätze verloren. So hart es ist, gewerkschaftlich gut organisierte und bestens bezahlte Arbeitsplätze zu verlieren, muss es jetzt trotzdem darum gehen, den wirtschaftlichen Schaden des Kohleausstiegs für Sie und die Region so gut wie möglich abzufedern. Als Gesellschaft müssen wir andere ökologisch nachhaltige Arbeitsplätze fördern und dort als Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, wie die IG Metall es in der Windindustrie versucht hat. Auch wir wollen nicht, dass die Lausitz ein weiteres Mal abgehängt wird.
Deswegen dürfen die Strukturmittel auch auf keinen Fall an die LEAG fließen, sondern müssen einerseits Ihre persönliche Zukunft sichern und andererseits dorthin gehen, wo Alternativen für die Region aufgebaut werden. Über die konkrete Verteilung sollten die Menschen in der Lausitz bestimmen können. Wie wäre es, wenn die Lausitz nicht mehr als „strukturschwache“ Kohleregion bekannt wäre, sondern für mutige zukunftsorientierte Politik von unten, aus der Region?
Für unsere Aktionen haben wir uns daher auf einen Aktionskonsens geeinigt. Unter anderem heißt es dort:
„Wir werden uns ruhig und besonnen verhalten; wir gefährden keine Menschen. Wir werden mit unseren Körpern blockieren und besetzen; es ist nicht das Ziel, Infrastruktur zu zerstören oder zu beschädigen.“
Ziviler Ungehorsam ist angesichts der Dringlichkeit der Situation das Mittel unserer Wahl, um uns dafür einzusetzen, dass alle in einer gesunden Welt leben können, in der Reichtümer und Ressourcen fair verteilt sind. Wir wollen auch, dass die Lausitz eine Energieregion bleibt – aber nicht mit Kohle, sondern zukunftsfähig und erneuerbar.
Gerne stehen wir dafür an Ihrer Seite, wenn wir uns darauf einigen, dass wir die geophysikalischen Grenzen des planetaren Systems einhalten müssen. Und die menschengemachten Grenzen des Wirtschaftssystems hinterfragen können.
Beste Grüße, Ende Gelände