Nein zum Polizeistaats-Gesetz!

Denn ohne zivilen Ungehorsam wäre der Atomausstieg in Deutschland nicht erreicht worden. Ebensowenig hätte es ein Ende der Apartheid in Südafrika, die Bürgerrechtsbewegung im Herbst 1989 in der DDR, die Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA oder das weltweite Wahlrecht für Frauen gegeben.

Brief des Bündnisses Ende Gelände an die Abgeordneten des Bundestags:
Stimmen Sie am 27. April gegen die Novellierung des Strafgesetzbuchs Paragraph 113 und 114!

Friedlicher Ungehorsam muss legitim bleiben.

Sehr geehrte Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Bundestags,

ohne zivilen Ungehorsam wäre der Atomausstieg in Deutschland nicht beschlossen worden. Ebensowenig hätte es ein Ende der Apartheid in Südafrika, die Bürgerrechtsbewegung im Herbst 1989 in der DDR, die Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA oder das weltweite Wahlrecht für Frauen gegeben.

Ende Gelände ist Teil der Bewegung für Klimagerechtigkeit, die dafür kämpft, dass die 1,5 Grad-Grenze eingehalten und unser Planet geschützt wird. Unsere Aktionen mögen nicht legal sein, aber legitim sind sie allemal angesichts der wachsenden Gefahr eines unumkehrbaren Klimachaos, während die Regierungen weitgehend untätig sind.

Ziviler Ungehorsam ist ein Protestmittel, das von einem starken Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und politische Verantwortung all derer zeugt, die auf diese Weise für ihre politische Überzeugung einstehen. Die Bundesregierung jedoch will, die Repressionen gegen diese Proteste stark verschärfen. Mit ihrer unangefochtenen Mehrheit im Bundestag will sie die Paragraphen 113 und 114 des Strafgesetzbuches novellieren. Das ist völlig unangemessen, weil gar kein Anlass für einen derart extreme Strafrechtsverschärfung vorliegt.

Viele Rechte, die wir heute genießen, sind Errungenschaften von Kämpfen, die auch mit dem Mittel des zivilen Ungehorsams geführt wurden. Ziviler Ungehorsam entpsringt einem starken Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und politische Verantwortung all derer, die auf diese Weise für ihre Überzeugung einstehen.

Die Polizei ist heute schon de facto befugt, aufrichtige Bürger*innen in große Unannehmlichkeiten zu bringen. Wer in eine Kontrolle gerät, den Ausweis vorzeigt und dadurch namentlich bekannt wird, kann jederzeit nachträglich angezeigt werden mit der Begründung, er oder sie hätte Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet. Das passiert vor allem dann, wenn Polizist*innen mit unangemessener physischer Gewalt vorgehen und somit ihre Macht missbrauchen. Wie der Jurist Professor Clemens Arzt ausführt: „Wenn Sie als Bürgerin und Bürger der Auffassung sind, die Polizei sei übergriffig geworden, und zeigen Polizeibeamt*innen an, können Sie so sicher wie das Amen in der Kirche auch davon ausgehen, dass Sie am nächsten Tag wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt angezeigt werden.“

Es sagen dann zumeist zwei oder mehr Polizeibeamte gemeinsam aus, und es ist sehr schwierig für einen Bürger oder eine Bürgerin, vor Gericht dagegen anzukommen. So haben in Stuttgart vier Polizist*innen einen Autofahrer in einer Verkehrskontrolle verprügelt und zu Boden geworfen. Angezeigt wurde anschließend der Autofahrer – wegen angeblichen Widerstands gegen die Polizist*innen. Erst als ein Video in den sozialen Medien verbreitet wurde, worin zu sehen war, dass von dem Autofahrer überhaupt kein Widerstand ausging, reagierte das Innenministerium.

Die meisten Opfer von Polizeigewalt haben weniger Glück. Kein Video im Internet zeigt ihre Unschuld. Mit der Verschärfung des Strafrechts würde derartige Willkür noch verschärft. Eine Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis ist vorgesehen. Dafür reicht der Vorwurf des „tätlichen Angriffs“. Bei Widerstand von Gruppen, zwei oder mehr Personen, sind sechs Monate Mindeststrafe vorgesehen.

„Die Formulierung vom tätlichen Angriff klingt zwar nach einer schweren Tat. Jurist*innen verstehen hierunter jedoch alle gewaltsamen Handlungen, die sich gegen den Körper des Beamten oder der Beamtin richten; zu Schmerzen oder Verletzungen muss es nicht kommen. So wäre schon das Schubsen eines Polizeibeamten mit mindestens drei Monaten Gefängnis bedroht“, führt Tobias Singelnstein, Kriminologe und Professor für Strafrecht an der FU Berlin aus.

Im Gegensatz zu anderen Gesetzen handelt es sich hier um Mindeststrafen. Kein Richter und keine Richterin könnte noch sagen, dass ein Vorwurf trivial und absurd wäre und daher nur mit einer geringen Geldstrafe oder gar nicht geahndet wird. Jedes Gericht in diesem Land müsste, egal wie lächerlich der Tathergang gewesen, auf drei oder sechs Monate Gefängnis entscheiden.

Praktisch hieße dies: Alle jungen Menschen, die später einmal Lehrer*in werden wollen, die als Richter*innen, Beamte im Staatsdienst oder in anderen Funktionen des öffentlichen Dienstes arbeiten wollen, ein erhebliches Risiko eingingen, wenn sie auch nur eine normale Demonstration besuchten. Von zivilem Ungehorsam, wie „Ende Gelände!“ ihn praktiziert, wären sie faktisch ausgeschlossen. Mit einer Bewährungsstrafe von drei oder sechs Monaten im Führungszeugnis hätten sie praktisch ein Berufsverbot für viele Jahre. Das Recht auf freie Meinungsäußerung würde für sie nicht mehr gelten.

Waren nicht viele der linken und grünen Abgeordneten im Bundestag auf den Anti-Atomdemos, von denen sie heute ihren Enkelkindern erzählen? Wie viele haben ´68 gegen den Besuch des Schahs demonstriert? Wie viele haben ´89 gegen die Stasi demonstriert? Wie viele wagen es, einem Menschen, der einfach nur frech ist und in einer Polizeiuniform steckt, in einer normalen Verkehrskontrolle zu widersprechen? Wie viele haben einen Freund oder eine Freundin in Schutz genommen, wenn er oder sie von einem Polizisten angegriffen wurde? Sie alle hätten dafür nach der geplante Verschärfung des Strafrechts drei oder sogar sechs Monate Gefängnis bekommen können.

Wir glauben nicht, dass diese Verschärfung auf die betrunkenen aggressiven Männer zielt, die jeden Freitag und Samstag des Nachts von einem Trupp Polizist*innen gebändigt werden müssen. Zumal selbst dann die Frage wäre, ob dies sechs Monate Gefängnis rechtfertigen soll. Wir sind uns sicher: Wer gegen Klimazerstörung und Kohlekonzerne auf die Straße geht, wird unter noch stärkerer Polizeiwillkür leiden. Statt der Gerichte würden dann zwei Polizeibeamt*innen entscheiden. Das wäre ein Schritt in Richtung Polizeistaat und Ausnahmezustand.

Wir würden uns sehr freuen, wenn alle Polizist*innen gute Menschen wären und in jedweder Situation, also auch unter erheblichem Stress, angemessen reagierten. Wir wissen allerdings, dass dies eine Illusion ist. Es gibt Gemeinheit, Niedertracht, Neid, Bosheit und Korruption in jedem gesellschaftlichen Bereich, auch in der Polizei. Und die Polizei darf deshalb nicht über dem Gesetz stehen.

Die vorhandenen Gesetze sind völlig ausreichend. Deutschland hat kein Problem mit steigenden Angriffen auf Polizist*innen, im Gegenteil. Dieses Land hat ein Problem mit steigender Polizeigewalt. Das behaupten nicht wir, sondern die Vereinten Nationen und Amnesty International.

„Ende Gelände!“ hat im Mai 2016 die Erfahrung gemacht, dass Klima-Aktivist*innen im Ernstfall von der Polizei Brandenburgs mit den Angriffen von Neonazis alleine gelassen werden und sich alleine schützen müssen. Wir haben im Jahr 2015 erlebt, dass die Polizei NRW zahlreiche Gesetze brach und den Werkschutz für RWE kostenlos übernahm, Journalist*innen willkürlich verhaftete, sich friedlich verhaltende Menschen niederschlug und stundenlang einkesselte. Wir wissen, dass die Polizei selbst das Gesetzt oft bricht, und deshalb sagen wir Nein zur Verschärfung der beiden Paragraphen!

Wir kämpfen gegen die Klimazerstörung und ihre Profiteure. Wir kämpfen für zivilgesellschaftliche Partizipation, auch durch zivilen Ungehorsam, für Demokratie, Grundrechte und ein gutes Leben für alle.

Wir fordern alle Parlamentarier und Parlamentarierinnen im Bundestag auf: Stimmen Sie gegen diesen Angriff auf die Grundrechte!


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