Interview Marcus
Inhaltlich hat mich die Klimasache schon länger interessiert, aber noch nicht so wahnsinnig lang. Ich war auf der degrowth-Konferenz in Leipzig weil meine Tochter gesagt hat: „Mensch Papa, komm da mal hin, das ist total spannend!“ Ich glaube tendenziell eher meine Tochter in frühkindlichen Jahren politisiert, nicht indoktriniert, zu haben, aber sie hat mir den Anstoß in diese Richtung gegeben. Das habe ich mir angeguckt und dann war ich bei dem ersten Treffen dabei und hab dann auch das Klimacamp und die degrowth Sommerschule 2015 mit vorbereitet. Solange es die Braunkohle und die Steinkohle in Deutschland noch gibt, wird das auch mein Schwerpunkt sein, aber es gibt danach ja noch Autobahnen, Flughäfen, es ist irgendwie eine Menge zu tun.
Ich war bei der Aktion 2015 dabei und bin nicht in der Grube gewesen, sondern bin am Rand der Grube festgenommen worden. Ich habe dort aus meine Personalien angegeben, obwohl ich den Ausweis nicht dabei hatte. Ich hab das sowieso nicht so ganz ernst genommen und monatelang ist überhaupt noch gar nichts passiert bis dann irgendwann Anfang des Jahres oder des Frühjahres 2016 von der Anwaltschaft von RWE so ne Unterlassungsverpflichtungs-erklärung gekommen ist.
Die Festnahme und die Konsequenzen daraus habe ich bis dahin nicht wirklich ernst genommen, das ist ja nicht das erste Mal in meinem Leben dass sowas passiert ist. Bisher, muss man sagen, hatte ich immer unglaubliches Glück, sooft ich festgenommen worden bin, ist es meistens zu einer Einstellung der Anklage gekommen und da hab ich gedacht: so läuft das hier auch.
Irgendwann kam ein Strafbefehl und eine Vorladung bei der Polizei, die habe ich genauso wenig befolgt, macht man ja auch nicht, und bin dann im Sommer 2016, hab ich einen Strafbefehl über 300 Euro gekriegt, 20 Tagessätze à 15 Euro, oder umgekehrt und meine erste Reaktion gefühlsmäßig war: Dazu hab ich überhaupt keine Lust, ich habe weder Lust das zu zahlen, noch hab ich Lust auf irgendwelche Antirepressionskampagnen, hab das auch ziemlich ehrlich intern kommuniziert und gesagt „ist nicht meins, hab ich noch nie gemacht und muss nicht sein“.
Es gab über Ende Gelände Liste die Information zur Gruppe Antirrr, Antirepression Rheinland-Ruhr, die waren und sind sehr informativ und rührig, die haben auch einen Blog eingerichtet und auf der internen Kommunikationsplattform habe ich meine Bedenken und meine Unlust geäußert, mich darin zu engagieren. Und die Antwort war einfach sehr toll fand ich. Da ist jetzt nicht so ein moralischer Anspruch formuliert worden wie „Du musst aber“ und Zeigefinger und „Gemeinsam sind wir stark“, die Lieder die wir alle gut singen können, sondern einfach ein paar sachliche Argumente, die mich überzeugt haben, einen Prozess zu führen. Dann habe ich mich bereit erklärt mich mit in die Aktionskampagne einzubringen. Es war mir bis dahin auch nicht bekannt, dass man in Strafprozessen sich selbst verteidigen kann, beziehungsweise mit einem Laienverteidiger. Und dann hab ich gedacht: „Na gut, dann machste das.“
Dann gab es so ein Prozesstraining, da bin ich dann hingestratzt und das war sehr spannend und lehrreich. Da sind alle diejenigen hingekommen, die eine ähnliche Auffassung haben, also sich selbst zu verteidigen oder mit einer Laienverteidigung, und so nahm das dann seinen Lauf.
Die Prozesstraining finden immer sehr intensiv zweieinhalb Tage statt, Freitag Abend gehts schon los, den ganzen Samstag bis Sonntag Nachmittag. In den letzten ein bis zwei Jahren war im Zweimonatsrhythmus fast im ganzen Bundesgebiet irgendwo so ein Prozesstraining. Die werden organisiert durch die, die sehr erfahren sind. Alle sind keine voll ausgebildeten Jurist*innen, sondern Menschen, die sich da gut eingearbeitet haben. Die haben ein richtig gutes Konzept erarbeitet, wie man vor Gericht auftritt, wie überhaupt so ein Prozess abläuft, du kannst dir so ein Schema aufbauen, „Was ist jetzt dran?“ und „Ah! Dann muss ich das sagen“. Aber das ist vor Gericht eben nicht so, dass man das sagen kann wann man lustig ist, sondern wenn du den Zeitpunkt verpasst einen Antrag einzubringen, hast du den verpasst, der kommt nicht nochmal. Dann grinst der Richter, oder die Richterin und sagt „Ja, das haben Sie leider verpasst!“. Das machen zwei bis drei Anleitungen, es gibt Sachinformationen, wir machen Rollenspiele im zweiten Teil, sprechen Fälle konkret durch, formulieren gemeinsam Beweisanträge, das ist das, wie man vor Gericht argumentieren muss. Ich habe an zwei Prozesstrainings teilgenommen, eins habe ich selbst mit organisiert und fühle mich zumindest was den Paragraph, was Hausfriedensbruch angeht, ziemlich gut vorbereitet.
Nach dem Prozesstraining fühle ich mich aber noch nicht kompetent genug das ganz alleine zu machen, sondern hab einen Wahlverteidiger oder eine Wahlverteidigerin gesucht und hab dann einen gefunden der, sagen wir, sehr umstritten ist in der Szene. Im Zusammenhang mit einem anderen Prozess haben wir uns zusammen getan in der Vorbereitung und diese Person, die mich verteidigt hat, ist über die Maße kompetent und das was ihm angekreidet wird, konnte ich für mich persönlich nicht feststellen, ich hatte überhaupt keine Probleme mit ihm, im Gegenteil, er war richtig gut.
Der Gerichtstermin war nur für mich. Das ist schon komisch, eine andere Person, die in den Zusammenhängen genauso drinsteckt wie ich, wir sind auch gemeinsam festgenommen worden, hat exakt dieselbe Anklage und hatte überhaupt noch keinen Termin. Während andere Leute, die zu viert festgenommen worden sind manchmal einen gemeinsamen Termin bekommen haben. Da wissen wir überhaupt nicht, nach welchen Regeln die Staatsanwaltschaft, beziehungsweise das Gericht, die Leute aussortiert.
Wir sind dann an diesem Tag gemeinsam aufgekreuzt und er ist gleich wieder rausgeflogen als Wahlverteidiger, ich hab gleich einen Befangenheitsantrag gestellt und der Prozess liegt seitdem auf Eis. Wir sind bisher durch alle Instanzen gegangen. Auch in der Berufung ist seine Verteidigung abgelehnt worden. Ich hab mich stur gestellt und hab gesagt „Ich brauch einen Verteidiger und mir wird das Recht auf Verteidigung genommen“ und jetzt ist die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Hört sich größer an als es ist.
Man muss einen Antrag stellen auf Laienverteidigung, das steht im Paragraph 138 Abs. 2, der Antrag muss allerdings genehmigt werden vom Gericht und die Genehmigung muss das Gericht abhängig machen von zwei Kriterien: der Kandidat oder die Kandidatin muss vertrauenswürdig sein und genügend sachkundig. Das sind eher schwammige Begriffe und genauso werden die auch ausgelegt. Er ist dem Gericht nicht vertrauenswürdig und die wollen ihn partout nicht dabei haben. Das zeigt sich auch in anderen Prozessen.
Ich fand das sehr aufregend und gleichzeitig natürlich frustrierend. Du machst deinen ersten Prozess und dann ist der nach fünf Minuten zuende. Das ist als ob du einen riesigen Luftballon aufblasen würdest und auf einem Mal platzt der. Und da ist bisher, außer dass wir durch die Instanzen gegangen sind, außer schriftlich nichts weiter passiert, außer dass der nächste Termin am festgelegt wurde.
Mal sehen ob ich eine andere Verteidigung brauche. Also inzwischen kann ich mich auch selbst verteidigen, weil die Kiste so einfach geworden ist, bei diesen Hausfriedensbruch-Prozessen hat ein Sachverständiger von RWE vor Gericht zugegeben, dass das Gelände leider doch nicht so ganz umfriedet war. Dann gabs den ersten Freispruch, ich war mit einem guten Freund von mir bei dem Prozess, wir haben den Prozess gemeinsam vorbereitet, die Richterin hat dann aber der Angeklagten gesagt „Nee, dann wollen wir einen Freispruch in drei Wochen haben.“ Die Richterin muss den Sachverständiger aber leiblich, persönlich vor Gericht sehen. Das heißt vor jedem Gericht darf der jetzt auftauchen, statt einfach zu sagen: „Wir übernehmen das, wir canceln das, Freispruch überall.“
Der Hintergrund ist, dass vor dem Amtsgericht ein Freispruch erfolgt ist, weil der Vorwurf des Hausfriedensbruch nicht aufrecht erhalten werden konnte. Dazu muss das Gelände komplett umfriedet sein*. Die Richterin im Ort ein paar Kilometer weiter, muss denselben Sachverständiger persönlich vernommen haben, anstatt dass der Freispruch in den gleichen Fällen auf alle Anklagen übertragen wird. Ob sie das jetzige Vorhaben wirklich umsetzen, wage ich zu bezweifeln, das ist ja auch ein Mordsaufwand, und ich kann mir nicht vorstellen dass ich zum nächsten Termin noch auflaufen muss. Wenn, dann brauch ich nur den Antrag einzureichen und zu sagen „Das war’s!“. Und da lass ich mir die Fahrtkosten mal ersetzen vom Gericht.
Ich habe etwas wichtiges dazu gelernt, dass ich glaube, dass wir vor Aktionen ein bisschen präziser hingucken müssen, was wir machen, und dass wir nach Aktionen politisch viel mehr auf das eingehen müssen, was da passiert. Ich bin ja schon sehr lange dabei, seit vielen Jahren politisch aktiv und ich habe unterschiedliche Aktionsformen mitgemacht und es war bis vor kurzer Zeit eine relativ übliche Prozessstrategie, die auch hauptsächlich von der Roten Hilfe propagiert wird: „Wir machen politische Aktionen, die Verteidigung übernehmen die Fachleute.“ Das haut aber meiner Meinung nach bei dem neuen politischen Ansatz mit dem Zivilen Ungehorsam so nicht mehr hin. Wir leisten uns jetzt ganz gezielten, massenhaften Rechtsbruch und dann müssen wir damit rechnen dass wir da sowohl strafrechtlich, als auch zivilrechtlich mit Sanktionen konfrontiert werden.
Und was ich jetzt festgestellt habe, ist dass der Antirepressionszusammenhang, also Antirrr zum Beispiel, der ist sehr fit uns sehr gut und macht auch die Kampagne „Untenlassen“, da geht es darum, dass RWE die Zivilklagen nicht durchführen soll, aber Ende Gelände ist eigentlich auf dem Aktionsgebiet, „Wie machen wir eine Kampagne gegen RWE, dass die diese Zivilklagen unterlassen?“ extrem passiv. Das ist eine massive Kritik, die ich habe, sagen wir, eine starke Kritik. Ich finde das schade, nicht weil ich persönlich betroffen bin, das ist gar nicht so, dass mich das in Angst und Schrecken versetzt, ich habe außer finanziellem Schaden vielleicht nicht viel zu befürchten, im Gegensatz zu anderen Leuten vielleicht. Ich find’s einfach schade, weil da die Bewegung inkonsequent ist und wir müssten eigentlich jeden Tag an der Tür von RWE rütteln. Dass wir ihnen den Preis wirklich schwer machen. Wir waren mal auf einer Aktionärsversammlung, aber ich finde wir sollten da mehr machen. Ein bisschen ist meine Kritik so: Wir machen tolle Aktionen, wir haben irre viel vor, aber ein bisschen geht es nach dem alten, blöden Muster „Immer schneller, immer weiter, immer höher“, aber wohin? Und die alten Schäden werden nicht aufgefangen, nicht aufgearbeitet, und das finde ich, müsste man in der Planung der Aktion mehr berücksichtigen. Also wenn wir jetzt ein Flächenkonzept haben, ich glaube da wird schon ein bisschen drüber nachgedacht: Ist es sinnvoll auf das Gelände von RWE zu gehen oder können wir andere Sachen machen? Aber ich sehe mich persönlich nicht so sehr in der Pflicht da wahnsinnig viel Aufruhr bei Ende Gelände zu machen. Da habe ich ein bisschen das Gefühl, das müssen andere machen.
Auf massenhafte Aktion folgt massenhafte Repression gegen einzelne Aktivist*innen auf niedrigem Level. Also es ist etwas anderes, wenn wir früher Aktionen gemacht haben, wo auch Militanz im Spiel war, wo wir gezielt die Polizist*innen nicht umschlängelt haben, sondern wir haben uns mit brachialer Gewalt durchgesetzt, da kommt ja etwas ganz anderes zustande und das hat in der Regel auch erstmal nur wenige getroffen. Und jetzt ist es umgekehrt bei Zivilem Ungehorsam: Wir wollen viele Leute reinziehen, dann müssen wir das auch mehr als Folgeaktion begreifen. Ziviler Ungehorsam eben auch vor Gericht und ich habe das Gefühl, dass das auch ein bisschen skeptisch gesehen wird.